VERTRAUTE KLÄNGE

Das Projekt „Vertraute Klänge“, das im Rahmen des Folkwang LAB „Kennen wir uns?“ entstanden ist, beschäftigt sich mit der partizipativen Gestaltung eines Audioplayers für Demenzkranke. Hierbei sollen interaktive Funktionen eine autonome und stimulierende Beschäftigung im Alltag der Patienten ermöglichen.

Bei den Folkwang LABs handelt es sich um Projekte, die für jeglichen Studiengang der Folkwang UdK offen sind. So soll das interdisziplinäre Arbeiten gefördert werden und beispielsweise die Gestaltung durch ein Einbeziehen von Tänzern, Musikern, Schauspielern etc. an Tiefe gewinnen. Aber nicht nur diese potentielle Zusammenarbeit mit fachfremden Kommilitonen, sondern auch das grundlegende Konzept der geforderten partizipativen Gestaltung machte die besondere Herausforderung und den Reiz dieses Projektes aus.
Für die Entwicklung der Konzepte, die zur positiven Beeinflussung der Lebensqualität von demenziell veränderten Personen, deren Angehörigen oder dem Pflegepersonal beitragen sollten, heißt das, dass genau diese Personengruppe oder einzelne Betroffene bei der Gestaltung mit einzubeziehen waren und als "Co-Designer" im Prozess fungierten. Gerade bei an Demenz erkrankten Personen verlangt dies ein nicht alltägliches Vorgehen, da auch schon bei weniger fortgeschrittener Krankheit Fragen möglicherweise nicht mehr beantwortet oder Entscheidungen nicht mehr bewusst getroffen werden können. Hier müssen andere Wege der Kommunikation gefunden werden und verschiedene Ansätze getestet und die entsprechenden Reaktionen gedeutet werden.

Bei der Zusammenarbeit mit meinem hochgradig an Demenz erkrankten Co-Designer, Herrn H., der in einem der mit uns kooperierenden Altenheime wohnte, entstand so ein Audioplayer mit wechselbaren Eingabe-Modulen. Durch die unterschiedliche Komplexität dieser Module, kann je nach Fortschritt der Demenzerkrankung und abhängig von der Tagesform die Bedienung angepasst werden.

Beim ersten Drücken/Bewegen eines der installierten Bedienelemente, wird eines der zuvor drahtlos auf die Basiseinheit aufgespielten Musikstücke gestartet. Hierbei wird die Grundmelodie selbständig abgespielt, während die einzelnen Tasten, Knöpfe und Regler zusätzliche Stimmen, Instrumentationen und gegebenenfalls subtile Effekte zuschalten können. So wird das Abspielen einzelner Lieder zusammen mit einer leichten kreativen Tätigkeit ermöglicht, sodass sich im Idealfall das Wohlbefinden, hervorgerufen durch die positive Wirkung der Musik und durch die aktive, kreative Beschäftigung, steigert.
Durch das Bestücken mit gleichen Modulen bietet das Objekt zudem die Möglichkeit eines gemeinsamen Spielens. So eröffnen sich neue Möglichkeiten der Interaktion und Kommunikation zwischen dem/der Demenzerkrankten und Besuchern.

Nach den ersten Vorträgen zum Thema Demenz und einigen Besuchen im auf Demenz spezialisierten Seniorenstift Haus Berge fiel recht zügig die Entscheidung das Thema Musik bei der Ausarbeitung des Konzeptes zu forcieren. Sowohl bei der vermittelten Theorie, wie auch bei den persönlichen Begegnungen, wurde die besondere Stellung, die Musik bei dementiell veränderten Personen einnehmen kann, deutlich.
Die mit Musik verknüpften Teile des Gehirns werden, gerade bei Alzheimer-Demenz, weniger schwer von der Erkrankung angegriffen wie die übrigen Regionen. Hierdurch sind wiederum die mit Musik in Verbindung gebrachten Fähigkeiten und Emotionen noch recht lange vorhanden und abrufbar. Das heißt, über die Musik sind die Betroffenen noch sehr lange erreichbar, auch wenn andere Arten der Kommunikation schon keinen Erfolg mehr versprechen. Ebenso können durch Musik verloren geglaubte Fähigkeiten und Erinnerungen wiedererlangt werden. So werden beispielsweise komplette Liedtexte extrem lange behalten und abgerufen, sobald die entsprechende Melodie ertönt.
Dieser Sachverhalt wird auch bei den musikalischen Aktivierungsrunden, die in periodischen Abständen in den Seniorenheimen stattfinden, genutzt. Immer wieder hört man davon, wie zurückgezogene, an Demenz erkrankte Personen während dieser Sessions regelrecht aufwachen und aufblühen. Obwohl eine gewisse Skepsis vorhanden war, konnte genau dieses Verhalten von mir, bei einer der Aktivierungsrunden, die ich besuchten durfte, miterlebt werden. Eine der anwesenden, dementiell veränderten Personen schien zu Beginn orientierungslos, sagte kein Wort und war völlig in sich selbst versunken. Mit jedem der mit Gitarre begleiteten Lieder wurde etwas mehr im Takt mitgewippt, geklatscht und schlussendlich fehlerfrei mitgesungen. Gegen Ende der Aktivität wurde ich dann von dieser Person sogar in ein, zugegebenermaßen extrem kurzes, Gespräch verwickelt.
Leider schien dieser Effekt nicht lange anzuhalten und es konnte beobachtet werden, wie die zuvor zurückgezogen erscheinenden Teilnehmer nach und nach wieder in ihre ursprüngliche Lethargie zurück zu fallen schienen. So entstand der Plan, ein System zu schaffen das eine ähnliche Situation, in der Musik bewusst erlebt und ggf. mitgestaltet werden kann, dauerhaft ermöglicht.

Ausgerüstet mit einem einfachen ersten Prototypen machte ich mich somit auf die Suche nach einem Partner für die partizipative Entwicklung eines entsprechenden Systems. Der Prototyp bestand aus vier großen, bunten Knöpfen über die jeweils eins von vier Liedern abgespielt und über eine kleine Box ausgegeben werden konnte. Nach einigen Versuchen eine/n Musikliebhaber/in zu finden und zum Teil sehr unangenehmen Reaktionen fand sich schließlich Herr H., der alleine im Aufenthaltsraum an einem Tisch saß. Es stellte sich heraus, dass er sein Leben lang Klavier und Keyboard spielte und dies bis vor wenigen Jahren auch noch im Seniorenstift machte. Sein Keyboard stand noch immer im Zimmer, wurde allerdings, durch die sehr weit fortgeschrittene Demenz, nicht mehr genutzt. Nach den ersten sehr positiven Reaktionen auf die Musik fing Herr H. damit an den Prototypen zu untersuchen und auseinander zu nehmen. Hierbei stellte sich heraus, dass die bei Demenz angeblich vorteilhaften bunten Knöpfe lange nicht so interessant waren, wie die an der eingebauten Bluetooth-Box angebrachten kleinen, schwarzen Knöpfe. Nach diesen ersten Erkenntnissen wurden eine Vielzahl unterschiedlicher Prototypen und Geräte getestet und die positiv aufgenommen Punkte, wie auch kleinere Rückschläge, wurden zur Entwicklung des oben gezeigten Konzeptes genutzt.

Das grundlegende Design des finalen Prototypen ist angelehnt an das Keyboard des Co-Designers. Durch diese optische Ähnlichkeit soll für ihn der Bezug des Objektes zum "Musizieren" weiter unterstützt werden. Für die Adaption des Konzeptes bei der Benutzung durch andere an Demenz erkrankten Personen ist hier eine leicht geänderte Optik denkbar. Etwa eine Holzoberfläche die an andere Instrumente erinnert und/oder eine andere Ausarbeitung des Lautsprecherbereiches, etc.
Das Gehäuse und die einzelnen Module wurden händisch aus einer Ureol Hartschaumplatte gefräst und lackiert. Technisch gesehen stellt das Funktionsmodell einen Midi-Controller mit wechselbaren Eingabemodulen dar. Der im Inneren verbaute Mikrocontroller erkennt welche Module in die Basis eingesetzt werden und sendet bei Betätigung der jeweiligen Knöpfe, Regler, Tasten etc. die entsprechenden Midi-Befehle. Die Tonausgabe erfolgt in diesem Stadium somit nicht direkt am Gerät, sondern über einen externen PC mit entsprechend vorbereitetem musikalischem Material.



Weitere Informationen zum Folkwang LAB und den anderen entstandenen Konzepten können unter dem folgenden Link gefunden werden:

>>Kenne wir uns?! Folkwang LAB<<